«Ein Leben ohne Trollinger ist denkbar, aber sinnlos.» Das könnte das Motto für viele Württemberger sein, ohne die rote Rebsorte Nummer eins ist das Ländle schlicht nicht denkbar. Dafür gibt es mehrere gute Gründe, der wichtigste dürfte im Glas stecken. Trollinger ist nun mal eine Rebsorte für jede Gelegenheit, wie unsere ausführliche Verkostung eindrücklich belegt hat.
Regionale Besonderheiten gibt es reichlich in Deutschland, gerade auch was die Ess- und Trinkgewohnheiten zwischen Flensburg und Freiburg angeht, ist das Land in Vielfalt vereint. Trotzdem nehmen der Trollinger und sein Stellenwert an den Tischen in Württemberg eine Sonderstellung ein. Während der Rest der Republik modischen Weinverirrungen wie dem Lugana oder dem Pinot Grigio zuspricht, ist der Trollinger im Ländle immer noch das «Nationalgetränk». Und warum auch nicht? Mit seinem Variantenreichtum von fruchtig-süß bis wuchtig-trocken bietet er für jeden Weinfreund das Passende. Er passt als Solist zur meditativen Herrenrunde ebenso wie als gut gekühlter Rosé auf die sonnendurchflutete Terrasse. Welche Rebsorte kann das schon für sich in Anspruch nehmen?
Der Trollinger – ein echter «Schwob»
In Württemberg steht der Trollinger auf rund 2500 Hektar Rebfläche, in den anderen zwölf deutschen Anbaugebieten sind es zusammen genau so viel: zwölf Hektar. Man kann also getrost davon sprechen, dass der Trollinger ein waschechter Schwabe ist. Zugegeben, mit einem fast genauso wichtigen Verwandten in Südtirol. Dort hat der Vernatsch – italienisch: Schiava – eine ebenso große Bedeutung und Ausbreitung gefunden. Und wahrscheinlich kommt er sogar daher, zumindest der Name. Trollinger dürfte wohl nichts anderes sein als die Eindeutschung des Wortes «Tiroler». Aber egal woher er auch kommen mag, wegzudenken aus der Landschaft und den Gläsern in Württemberg ist er so oder so nicht.
Die Trollingertrauben reifen sehr spät aus, deshalb ist er auf erstklassige, vor allem frostfreie Lagen angewiesen. Und nur wenn er wirklich reif wird, zeigt er in der Farbe das leuchtende, helle Rot, je nach Ausbauart zwischen Rubinrot und Ziegelrot. Und nur dann entwickelt er auch die so typischen Aromen, dieses animierende Spiel aus Roter Johannisbeere, Erdbeere oder Kirsche und den würzigen Noten, Mandel sowie Kräuter oder Schwarztee.
Für einen in der Farbe eher hellen Rotwein zeigt der Trollinger oft erstaunliche aromatische Tiefe. Zu seinen großen Vorzügen gehört, dass er relativ schnell nach der Ernte trinkfertig ist. Denn das Jahr im Anschluss an die Ernte bringt die ersten Trollinger auf den Tisch. Eine mehrjährige Lagerung braucht er eigentlich nicht, wenngleich sich hier ein gewisser Wandel zeigt. Immer mehr Weine vertragen eine gewisse Lagerung, wodurch sie an Tiefe und Komplexität gewinnen.
Trollinger bei Tisch
Seine wahren Qualitäten kann der Trollinger vor allem als Speisebegleiter ausspielen. Die zurückhaltende Art sowie die frische Säure machen ihn nicht nur zum Partner der klassischen schwäbischen Küche, also zu Maultaschen oder Linsen mit Spätzle. Durch die leichte Süße und seine unkomplizierte Art passt ein Glas Trollinger perfekt zur deftigen Brotzeit mit Brot, Wurst und Käse – die gerne auch etwas kräftiger im Geschmack sein dürfen.
Und wie sein Verwandter aus Südtirol ist das schwäbische Nationalgetränk perfekt zur Pasta mit Tomaten- oder Fleischsauce oder im Herbst zu einer Polenta mit Pilzen. Italienische Küche liebt Trollinger geradezu! Aber – das ist noch lange nicht alles. Denn wie sich in der Verkostung zeigte, ist Trollinger stilistisch unglaublich vielfältig. Vor allem der Ausbau im Holzfass fügt dem Trollinger eine ganz neue Dimension des Geschmacks hinzu. Dunkel im Glas, voller Würze und mit enormer Dichte können die Spitzenerzeugnisse manchen Weinfreund ins Grübeln bringen. Ist das noch Trollinger? Oder schon Spätburgunder oder gar Lemberger? Sicher, das sind keine Weine zum einfach «Wegschlonzen», sie verlangen nach Zeit und Aufmerksamkeit, man muss sich mit ihnen beschäftigen. Aber warum nicht? Zeigen sie doch, was alles möglich ist und schmeckt. Die Geschichte des Trollinger ist jedenfalls lange noch nicht auserzählt!
Diesmal war alles ganz anders …
Das Frühjahr 2020 ist für alle Menschen in Deutschland eine Herausforderung. Sowohl im privaten wie auch im beruflichen Rahmen sind völlig neue Herangehensweisen gefragt. So natürlich auch in der Verkostung der Weine für diese Ausgabe. Wir wollten die eiserne Regel, dass alle Weine blindverkostet werden – das heißt ohne Sichtbarkeit der Etiketten für die Verkoster – auf keinen Fall brechen. Die Unabhängigkeit des Urteils bei den Weinbeschreibungen ist uns wichtig. Trotzdem war ein gemeinsames Verkosten vor Ort in einem Restaurant oder Getränkemarkt diesmal ausgeschlossen.
Deshalb haben wir uns folgendes Procedere ausgedacht: Alle Weine wurden in großen Paketen per Versand an die Privatadresse der Verkoster geschickt. Dort wurden die Weine kontrolliert, die Verkostungslisten abgeglichen, nach Geschmacksrichtungen sortiert und alle Flaschen anonymisiert. Schwarze Kunststofftüten, wie sie von der Schweizer Sommelierunion für Verkostungen vorgeschrieben sind, absolut blickdicht und über die Manschette der Flasche hinausgehend, kamen zum Einsatz. Alle 50 Weine wurden hineingesteckt. Jetzt kam der Einsatz der Lebenspartner oder Mitbewohner: Sie öffneten jede Flasche und brachten die verhüllten Weine an den Arbeitsplatz der Verkoster.
Dort wurden die Weine wie gewohnt verkostet und nach dem Schreiben der Verkostungsnotiz enthüllt. Bei besonders interessanten Weinen tauschten sich die Verkoster im Nachgang per Telefon aus. So kam ein einheitliches Urteil zustande. Ein aufwändiges Verfahren, aber so glauben wir, die Objektivität gegenüber allen Weinen gewahrt zu haben. Und freuen uns darauf, beim nächsten Mal wieder alle gemeinsam an den Tischen und Weinen zu stehen, um gemeinsam zu verkosten. Denn ehrlich gesagt: Mit den Kollegen zusammen macht es schon deutlich mehr Freude.