Ein Interview mit Claus-Peter Hutter
Wusstet Ihr, dass unsere Württemberger Weinberge eine vielfältige und symbiotische Flora und Fauna beherbergen? Dr. Claus-Peter Hutter ist Präsident der Stiftung NatureLife-International in Ludwigsburg und Autor zahlreicher Publikationen zu Umwelt-, Natur-, und Verbraucherthemen. Außerdem initiierte er mehrere (inter-)nationale Aktionen für den Klimaschutz und den Schutz biologischer (Arten-)Vielfalt. Mit der Weinheimat Württemberg geht er nun in den Dialog und spricht über die Artenvielfalt im Weinberg Württembergs und die unglaubliche Flora und Fauna, die die fruchtbaren Steillagen und Terrassen beherbergen.
Wie wertvoll und vielfältig die Tier- und Pflanzenwelt im Weinberg ist, warum wir Flora und Fauna schützen müssen und wie wir das schaffen, erfahrt Ihr jetzt!
Was macht gerade die Weinberge so attraktiv für Pflanzen und Tiere?
Claus-Peter Hutter: „Im Weinberg geben sich Natur und Kultur die Hand. Ohne die pflegende Arbeit der Weingärtner würde es diesen Landschaftstyp als besonderen Lebensraum nicht geben. Weinbau gibt es, seit die Römer und später Mönche sowie Burg- und Schlossherren Reben über die Alpen gebracht haben; in Gegenden mit mildem Klima an sonnenverwöhnten Standorten. In der Folge sind vielerlei Pflanzen und Tiere aus anderen Lebensräumen in diese offenen Standorte eingewandert. Manche Arten, wie die Mauereidechse oder Schmetterlinge wie der Schwalbenschwanzfalter, kamen aus dem mediterran geprägten Gebiet. Es sind vor allem die mit Natursteinmauern terrassierten Weinbergen, welche ganz unterschiedliche Kleinlebensräume bieten. Da gibt es heiße Stellen, an denen an Hitzetagen Überlebensspezialisten wie der Mauerpfeffer, die Hauswurz oder der Streifenfarn überdauern. An schattigen Plätzchen in den Ritzen und Fugen der Mauern finden Blindschleichen und Schlingnattern Verstecke, um dann bei nachlassender Bruthitze wieder Sonne zu tanken und auf Nahrungssuche zu gehen.“
Welche Tiere leben gerne im Weinberg?
Hutter: „Interessant sind Tierarten, die es fast nur in den Weinbergen gibt. So etwa das Weinhähnchen. Eine Langfühlerschrecke mit etwa 1,5 cm Größe, deren grillen ähnlicher Gesang nach Einbruch der Dunkelheit,etwa ab Mitte Juli, fast die ganze Nacht über zu hören ist. Eine Besonderheit in manchen Steillagenweinbergen entlang des Neckars, ist auch die Blutrote Singzikade. Während diese Insekten sich gut verstecken, so sind wärmeliebende Reptilien wie Zaun- und Mauereidechse oder die Schlingnatter mit etwas Glück schon eher zu beobachten. Ebenso zu sehen gibt es Hausrotschwanz, Girlitz, Heidelerche und der selten gewordene Steinschmätzer.“
Welche Pflanzen wachsen im Weinberg?
Hutter: „Interessant ist die Mischung von Wild- und Kulturpflanzen im Weinberg. So stehen dort, wo die Natur noch eine Chance bekommt, nützliche Wildblumen. Prominent sind der blau blühende Natterkopf, der weißlich-rosa blühende Wilde Majoran und ebenso kultivierte Gewürzpflanzen wie Küchensalbei oder Frühlingszwiebeln. Manches Gewächs – dessen Bedeutung fast vergessen war – wurde früher genutzt und deshalb einst gezielt angesiedelt. So etwa die Weinraute, die wegen der vielen Inhaltsstoffe vor Jahrhunderten auch dem Wein als Würze zugefügt worden sein soll und in der Volksmedizin Verwendung fand. Die bis zu 60 cm hohe Staude blüht von Juni bis Juli gelb und lockt viele Insekten wie Wildbienen, Schwebfliegen und Schmetterlinge an. Dazu gehört der attraktive Schwalbenschwanz, der seine Eier an Weinrautenpflanzen legt, von denen sich dann die Raupen ernähren.“
Welche Effekte hat die Artenvielfalt im Weinberg für die Biodiversität?
Hutter: „In den Weinbergen sind das ganze Jahr über viele unterschiedliche Gewächse anzutreffen. Schon im frühen Frühjahr der wilde Weinberglauch, später die lila Traubenhyazinthen, der gelb blühende Ackergelbstern oder der weiße Doldige Milchstern. Dazwischen Ehrenpreis, Habichtskräuter, Erdrauch und vieles mehr. Die Devise ist hier: Natur Natur sein lassen. Wo es eine große Artenvielfalt im Weinberg gibt, haben wir auch ökologisch robuste Verhältnisse. Dafür ist es wichtig, die Pflanzenvielfalt nicht zu gefährden und nicht sofort alles abzuschneiden. Zuerst sollte der Weingärtner oder die Weingärtnerin herausfinden, was Schädling und was Nützling ist.
Manche sogenannte Nützlinge wie Schwebfliegen, Wildbienen und verschiedene Käferarten brauchen zur Entwicklung unterschiedliche Nektar- und Pollentankstellen sowie Fraßpflanzen. Wo es summt, brummt und krabbelt, ist dies also ein Hinweis auf ökologisches Gleichgewicht. Alle Pflanzen und Tiere haben andere Bedürfnisse, deshalb ist es manchmal schwierig, einen Einklang herzustellen. Allerdings kann die Natur sich selbst regulieren, wenn man ihr den Raum dazu gibt. So kann man auf natürliche Insektenkontrollen zurückgreifen, die weder Flora noch Fauna gefährden. Zur natürlichen Kontrolle der Traubenwickler, der wohl größte Feind der Weinpflanze, bewährt sich nach wie vor die sogenannte ‚Verwirrmethode‘ mittels Pheromonfallen.
Der Einklang der Natur kann, wie hier klar wird, nur durch das Stichwort Diversität gesichert werden. Denn, wenn es an Pflanzen mangelt, sind Insekten und andere Kleintiere vom Aussterben bedroht oder können sich, wie manche Raupen, nicht weiterentwickeln. Daraufhin können Insekten auch die Pollen nicht weitertragen und die Pflanzenvielfalt ausbreiten – ein Teufelskreis, dem schon zahlreiche Wildbienen zum Opfer gefallen sind. Von circa 500 Wildbienenarten sind bereits rund die Hälfte vom Aussterben bedroht. Diese sind unverzichtbar für die Bestäubung von Wildpflanzen. Weinreben hingegen sind in aller Regel Selbstbestäuber. Allerdings sind wir dennoch auf einem guten Weg Richtung Biodiversität und Nachhaltigkeit: Dank immer jünger werdenden Weingärtnern steigt das Bewusstsein für Umweltschutz.“
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Sind bestimmte Tier- oder Pflanzenarten im Weinberg bereits gefährdete Arten?
Hutter: „Viele Tier- und Pflanzenarten sind durch die Flurbereingigungen in den 60er und 70er Jahren aus den Weinberglagen verschwunden. Vielerorts fanden Schmetterlinge und Reptilien kaum noch einen Lebensraum, da die Kleinlebensräume zunehmend verschwanden. Hinzu kamen Chemikalien, die heute nicht mehr verwendet werden. Damals war die ökologische Sensibilität noch nicht so weit entwickelt wie heute. Deshalb waren und sind die terrassierten Weinberge, die man wegen der geologischen und geomorphologischen Verhältnisse nicht planieren konnte, wichtige Überlebensinseln.
Zum Glück hat ein Umdenken eingesetzt. Beim umweltschonenden beziehungsweise ‚ökologischen‘ Weinbau werden keine Insektizide mehr ausgebracht. Die heutigen Rebgassen sind aus Gründen des Boden- und Grundwasserschutzes begrünt, was Vielfalt von Flora und Fauna fördert. Mit der von mir entwickelten Aktion ‚Lebendiger Weinberg‘ wird vielerorts auch angestrebt, wieder mehr Strukturen in die Rebflächen zu bringen, welche diese auch im Sinne von Landschaftsvielfalt und Naturerlebnis attraktiver machen. Jetzt gibt es immer mehr blühende Böschungen oder gezielte Pflanzungen von Schwertlilien, Färberkamille, Weinraute, etwa an Wegkurven oder am Beginn der Rebreihen. Zur Strukturoptimieren gehören auch Steinriegel, Hecken- und Gehölzpflanzungen. Denken Sie hier nur an Weinbergquitte, Weinbergpfirsich oder Weinbergmandel. Auch viele Vogelarten profitieren sehr von diesen Fruchtbäumen.“
INFO:Claus-Peter Hutter hat vor über 15 Jahren die Aktion ‚Lebendiger Weinberg‘ ins Leben gerufen. Diese beschäftigt sich damit, Weingärtnern mit Antworten auf folgende Fragen zu unterstützen: Wie mache ich aus Weinbaugebieten mehr Natur- und Weinerlebnislandschaften? Wie gelingt es, dass man nach Flurbereinigungen eine bessere Struktur für Flora und Fauna bekommt? |
Was kann oder muss der Weingärtner tun, um die Artenvielfalt im Weinberg zu fördern?
Hutter: „Wer Weinberge naturnah bewirtschaften will, braucht vor allem Mut zur Natur. Einfach mehr blühen lassen, nicht alles gleich kurz und klein mähen. Wo möglich, neue Strukturen schaffen, die die Biodiversität fördern, also keine Monokulturen. Etwa in den Zwickeln zwischen zusammenlaufenden Spitzzeilen, an Weinberghäuschen oder bei einer Neubestockung mitten im Weinberg. Viele Privatweingüter und Genossenschaften haben schon mitgemacht und sind stolz auf den blühenden Weinberg. Nützlich sind auch mehr Hecken, welche man zwischen den Zeilen des Weinbergs pflanzen kann. Diese bieten einerseits Windschutz und können eine Vielzahl an Blüten beherbergen.“
Welche Tiere sind im Weinberg nicht willkommen und wie behält man dennoch die Biodiversität bei?
Hutter: „Ganz klar: alles was den Reben und Trauben schadet. Bedingt durch Pflanzenimporte, den Auswirkungen des Klimawandels und vielen anderen noch nicht erforschten Faktoren sind Schadorganismen wie die Kirschessigfliege in jüngster Zeit eingewandert. Solche Entwicklungen wird es vermehrt geben und die Bekämpfung erfordert immer wieder neue Strategien. Wie erfolgreich gegen tierische Schädlinge ohne Gift vorgegangen werden kann, zeigen die jahrzehntelangen Erfahrungen beim Traubenwickler, einem Schadschmetterling. Ganz wichtig ist die natürliche Schädlingskontrolle, etwa durch Schlupfwespen, für die es wiederum ökologisch stabile Verhältnisse braucht.
Wenn Ihr mehr zu den Themen Flora & Fauna und Artenvielfalt im Weinberg wissen möchtet, dann schaut euch an, was Claus-Peter Hutter in vielen Ländern auf der Welt mit seinem Anliegen bewegt mit NatureLife international.“
Fotos: Claus-Petter Hutter