Das Geheimnis der Steillagen

Zugegeben, der Titel des heutigen Blogposts ist ein wenig reißerisch. Aber: Die Steillagen haben tatsächlich ein paar Besonderheiten. Und von diesen erzählen wir Euch heute.

30 Prozent Hangneigung müssen gegeben sein, damit sich ein Weinberg “Steillage” nennen darf. Und einen weiteren Punkt möchten wir gerne vorab klären. Nämlich dass es in der äußeren Erscheinungsform zwei Arten von Steillagen gibt: Die unterrassierten und die terrassierten. Wir sprechen in diesem Beitrag im Wesentlichen von der terrassierten. Und zwar nicht zuletzt deshalb, weil es über sie wesentlich mehr Spannendes zu erzählen gibt.

Zunächst aber ein Blick auf ein paar Zahlen zur Steillage in Württemberg ganz allgemein. Laut aktueller Erhebung der Staatlichen Lehr- und Versuchsanstalt für Wein- und Obstbau in Weinsberg, der LVWO, waren 2024 von den 10.848 Hektar, auf denen in Württemberg Weinanbau stattfindet, 2.350 Hektar Steillagen. Dies entspricht knapp 21%. Weitere 320 Hektar Steillagen liegen brach – rund 200 mehr als noch im Vorjahr. Das bedeutet: Immer mehr Steillagen werden brachgelegt, weil sie mangels Wirtschaftlichkeit und erschwerter Bewirtschaftung niemand bewirtschaften will. Apropos Bewirtschaften: In den Steillagen sind 3.467 Betriebe tätig, ein Rückgang von 102 gegenüber dem Vorjahr. Alle diese Zahlen haben einen Stand von 2024.

Und jetzt nichts wie rein in die Württemberger Steillagen. Interessant sind sie aus dreierlei Perspektive.

Steillagen sind ein Refugium für seltene Tier- und Pflanzenarten

Die Steillage ist bei weitem nicht nur für den Wein spannend – zu diesem kommen wir gleich noch. Jetzt werfen wir erst einmal einen Blick auf die Wirkung der Steillage ganz allgemein. So bieten die terrassierten Steillagen Lebensbedingungen, die insbesondere für einige selten gewordene Tier- und Pflanzenarten besonders geeignet sind. Der spezielle Lebensraum entsteht durch das Mikroklima in den Steillagen. Denn die Steine der Trockenmauern, die dazu dienen, die Terrassen für den Weinbau zu schaffen, speichern tagsüber die Wärme der Sonne. Diese geben sie dann während der Nacht wieder an ihre Umgebung ab. Dazu kommt: Durch die günstige Ausrichtung vieler Steillagen zur Sonne (z. B. Südhang) erhalten sie mehr direkte Sonneneinstrahlung als flachere Lagen. So sind terrassierte Steillagen deutlich wärmer als vergleichbare Weinbergslagen ohne Steinmauern.

Wir finden in Steillagen deshalb eine große Zahl sonnen-, trockenheits- und wärmeliebender Pflanzenarten. Zum Beispiel die Traubenhyazinthe, die Schwertlilie oder die als Heilkraut und Gewürz bekannte Weinraute.

Auch einige Tierarten, wie zum Beispiel die Mauereidechse, finden hier ihr Zuhause, hinzu kommen zahlreiche Vogel- und Insektenarten, zum Beispiel Wildbienen.

Wesentlich mehr Details hierzu findet Ihr im Interview mit dem Experten Dr. Claus-Peter Hutter hier im Blog.

Muschelkalk-Steine und Sandstein sind die vorwiegenden Steinarten, die für die Trockenmauern verwendet werden und wurden.

Steillagen: Man sieht eine Eidechse auf Weinbergmauer

Foto: Florian Langer

Und auch für den Weinbau ist das Mikroklima der Steillagen förderlich. Rebsorte Nummer 1 in der Württemberger Steillage ist der Trollinger, aber – bedingt durch das durch die Trockenmauern fast mediterrane Klima – wachsen hier auch exotische, südländische Sorten wie Merlot oder Cabernet Franc. In welche Richtung die Entwicklung hier geht, schauen wir uns im nächsten Absatz zusammen an.

Steillage erfordert aufwändige Handarbeit

In die terrassierten Steillagen an Neckar und Enz kommt man mit Maschinen nicht hinein – das heißt, hier ist echte Handarbeit gefragt. Und diese ist nicht ohne. Was man bei der Bewirtschaftung einer solchen Steillage beachten muss, bekommt Ihr in diesem Video von Jochen Clauß erzählt. Er ist Weingärtner in einer der kleinsten Einzellagen Württembergs, unterhalb der Esslinger Burg – und dazu einer echten Steillage.

Eines der Erschwernisse haben wir gerade erwähnt: In der Steillage ist es besonders heiß – ebenfalls schon erwähnt: Dafür wachsen in den Steillagen auch exotische, südländische Rebsorten, die man bei uns so nicht vermuten würde. Und inwieweit genau das noch ausgebaut werden kann, wurde in einem Hochschulprojekt zusammen mit verschiedenen Winzern und Weingärtnergenossenschaften erforscht. Unter anderem die Felsengartenkellerei Besigheim, die Weingärtner Stromberg-Zabergäu und die Lauffener Weingärtner gingen hier zusammen mit der Hochschule Geisenheim in der Steillage neue Wege. Das Projekt “Steile Weine” sollte den Anbau von Wein auf terrassierten Flächen wirtschaftlicher machen und dabei helfen, diese Kulturlandschaft auch in Zukunft zu erhalten.

Hierfür wurde der Anbau verschiedener südländischer Sorten in unseren Steillagen getestet, wie Carmenère, die Neuzüchtung Marselan oder Nero d‘Avola – letztere die derzeit bedeutendste Sorte in Sizilien. Aber das Projekt ging noch einen Schritt weiter: Auch neue, pilzwiderstandsfähige Rebsorten wurden in der Steillage getestet. Nach inzwischen ebenfalls durchgeführten Marktstudien – konkret wurde gefragt, wie der Wein aus den neuen Sorten aus der Steillage denn schmecken und aussehen müsste, um am Markt Erfolg zu haben – ist das Projekt inzwischen abgeschlossen. Ein interessantes Video zu dem Projekt – aus der Zeit, als das Projekt noch lief – , mit dem Vorstandsvorsitzenden der Lauffener Weingärtner, Dietrich Remboldt, findet Ihr hier.

Steillagen

Schwer zu bewirtschaften, aber ein herrlicher Anblick: Die Steillagen der Felsengartenkellerei Besigheim

Steillagen auch für den Weintourismus interessant

Aus den Steillagen lässt sich durchaus auch touristisch etwas machen. Denn sie sind wie geschaffen für tolle Freizeitaktivitäten. Eine davon ist der “401 Stäffele-Teamlauf ” der Lembergerland Kellerei Rosswag. Hier laufen die Läufer in 2er-, 3er- und 4er-Teams 401 Weinbergstaffeln hoch und auf der Rückseite des Berges wieder runter – das ganze über eine Zeitspanne von 101 Minuten. Das Team, das die meisten Runden schafft, gewinnt. Das Rennen findet einmal jährlich statt. Mehr dazu haben wir unter anderem hier schon einmal geschrieben.

Man sieht zwei junge Frauen von hinten, sitzend oberhalb der Rosswager Halde, mit Blick auf Rosswag.

Foto: Christian Kaiser

Wer es lieber etwas langsamer angehen lässt, nicht ganz so gern aus der Puste gerät und den Besuch der Steillagen mit dem Besuch einer herrlichen Altstadt verbinden will, dem sei Esslingen am Neckar ans Herz gelegt. Der vom Esslinger Staffelsteigerverein gebaute Esslinger Weinerlebnisweg führt Besucher von der historischen Esslinger Frauenkirche aus direkt in die und mitten durch die terrassierten Steillagen Esslingens. Auch hierzu haben wir schon einmal ein Video gedreht, Ihr findet es hier.

Eine andere Freizeitaktivität bieten die Felsengärten bei der Felsengartenkellerei Besigheim in Hessigheim. Sie sind ein Eldorado für Kletterer, mit Felsen, die mitten aus einer faszinierenden Weinbergslandschaft herausragen. Und das wissen nicht nur wir zu schätzen: Sie sind auch als Naturschutzgebiet ausgewiesen. Ein Wanderweg führt direkt daran vorbei. Man parkt seinen Wagen einfach auf dem Parkplatz der Felsengartenkellerei und los gehts. Von dort geht es vorbei an zahlreichen Weinbergen in Richtung der Felsformationen. Nach wenigen Minuten warten die 10 Meter breite Schlucht der Felsengärten, mit Wänden, Türmen und Felsblöcken. Und das Ganze vor dem Hintergrund der malerischen Steillagen der Felsengartenkellerei Besigheim. Auf dem stellenweise recht engen Wanderweg geht es an der Seite hin und wieder sehr steil und tief hinab. Als Entschädigung gibt es tolle Ausblicke auf den Neckar, die Steillagen und auf Besigheim. An den Felsen selbst sieht man immer wieder Kletterer. Mehr dazu lest Ihr hier, auf der Webseite der Stadt Hessigheim.

Lust, Weinbau in der Steillage zu betreiben?

Und dann sind da noch die Weingärtner für ein Jahr. Ein spannendes und mittlerweile mehrfach kopiertes Projekt der Lembergerland Kellerei Rosswag, das 2025 für ein Jahr pausiert, aber gleich mehrere ähnliche Projekte an anderen Orten inspiriert hat. Gemeinsam mit weiteren “Lehrlingen” begleiten dort weinbegeisterte Quereinsteigher ein Jahr lang aktiv die Trauben dieser Lage beim Wachsen, erziehen die Reben, bearbeiten den Boden, lichten die Laubwand und ernten im Herbst die Früchte ihres Schaffens. Und zwar alles unter Anleitung der “alten Hasen” der Lembergerland Kellerei Rosswag.

Wengerter für ein Jahr: Gruppe im Weinberg

Rolf Allmendinger, Vorstand der Lembergerland Kellerei Rosswag, erklärt den Wengertern für ein Jahr die Grundlagen des Weinbaus.

Steillage für Jeden: Das Steillagenkollektiv der Lembergerland Kellerei Rosswag

Um die Steillage auch Otto und Linda Normalverbraucher nahe zu bringen und sie Teil davon werden zu lassen, hat die Lembergerland Kellerei Rosswag das „Steillagenkollektiv“ gegründet. Hier kann jedermann Mitglied werden, zahlt 365 Euro im Jahr und erhält dafür die Patenschaft für ein Ar Weinberg, mit eigenem Schild und gps-Koordinaten. Jedes Vierteljahr erhält das Mitglied ein Paket mit 6 Flaschen Wein der Genossenschaft, außerdem darf das Mitglied, wenn es möchte, an der Lese teilnehmen, an einer Weinbergführung im Herbst und vier digitalen Stammtischen im Jahr.

Der Lembergerland Kellerei geht es dabei ausdrücklich um die Zukunftsfähigkeit der Steillage, mit lebendigen Weinbergen, mit Beipflanzen und Wildkräutern. Die Winzer ihrerseits verpflichten sich zur nachhaltigen Bewirtschaftung der Steillagen. Also eine interessante Win-Win-Situation, die hilft, die Steillagen in die Zukunft zu führen, anstatt dass sie tendenziell zunehmend aufgegeben werden. Mehr Details lest Ihr hier

Zum Schluss noch ein paar Zahlen

Die Steillagen lassen sich in folgenden Zahlen noch einmal sehr schön darstellen.

Wusstet Ihr, dass  …

800-1.600 Stunden (je nach Mechanisierungsgrad) pro Hektar und Jahr der Aufwand ist, mit dem bei der Bewirtschaftung von Steillagen gerechnet werden muss? Das ist deutlich mehr als bei einem Wengert in der Fläche, wo 200 bis 250 Stunden anfallen. Diese Zahlen stammen vom Deutschen Weinbauinstitut. Zudem müssen die Weingärtner je nach konkreter Beschaffenheit der Lage teilweise oder ganz auf maschinelle Hilfe verzichten. Dies macht die Arbeiten – gerade bei der oben schon beschriebenen Hitze – zu einer körperlichen Herausforderung.

14 Milliarden Euro nach Schätzungen der Umweltstiftung NatureLife-International aufzuwenden wären, wollte man die gesamten Weinberg-Terassenmauern neu bauen, die es allein entlang des Neckars gibt? Die und die sie umgebenden und befestigenden Trockensteinmauern sind nicht nur eine der Grundlagen für herausragende Weine, sondern auch Teil einer einzigartigen Kulturlandschaft, für deren Erhalt die Winzer viel Aufwand betreiben. Und klar – das sagen wir lieber noch einmal dazu – die genannte Zahl ist ein Schätzwert.

235 bis 243 Millionen Jahre vergangen sind, seit sich die Kalkschicht gebildet hat, die vielfach in den Steillagen an Neckar und Enz zu finden ist? Der Muschelkalk verleiht den Weinen aus diesen Lagen eine besondere Struktur – sie zeigen oftmals prägnanten Schliff, eindrückliche Länge und unverwechselbaren Charakter. Aus dem Zusammenspiel von Boden und Klima, aus dem Terroir, entstehen Weine für wahre Genießer.

…und schöne Bilder unserer Württemberger Steillagen

Die Fotos dieser Galerie stammen von (v.l.n.r): Weingärtner Stromberg-Zabergäu, Daniel Schneider, Daniel Schneider, Daniel Schneider, Daniel Schneider.

Titelfoto: In den Steillagen Roßwags (Vaihingen/Enz), Foto: Simone Mathias

Erstellt am 30. Oktober 2022, aktualisiert am 02. Juni 2025

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