Was macht Genossenschaften besonders?

Wie Ihr wisst, steht die Weinheimat Württemberg für die Württemberger Weingärtnergenossenschaften. Aber: Was sind eigentlich Genossenschaften und was macht sie aus?

Ihr lest gerade den Weinheimat Blog – den offiziellen Blog der Weinheimat Württemberg, und damit der Württemberger Weingärtnergenossenschaften. Das freut uns. Aber: Was sind eigentlich Genossenschaften und was macht sie aus? Zeit für einen Blick auf diese ganz besondere Rechtsform!

Genossenschaften gibt es seit Mitte des 19. Jahrhunderts. Wobei sich die wirtschaftlichen Umstände über den Zeitraum immer wieder wesentlich geändert haben. Doch: Die Genossenschaft hat sich als Gesellschaftsform erwiesen, die flexibel auf verschiedenste Anforderungen reagiert. Weltweit sind heute rund 800 Millionen Menschen Mitglieder einer oder mehrerer Genossenschaften. Allein in der EU gibt es etwa 300.000 Genossenschaften mit 140 Millionen Mitgliedern. Ihr habt im täglichen Leben mit vielen von Ihnen zu tun: Vielleicht wohnt Ihr in einem Haus einer Baugenossenschaft, habt Euer Girokonto bei Volksbank oder Sparda – und Euren Wein holt Ihr natürlich bei einer Weingärtnergenossenschaft.

In Deutschland ist statistisch gesehen jeder vierte Bürger Mitglied einer Genossenschaft. Will heißen: Unsere Gesellschaftsform ist alles andere als eine Randnotiz oder ein Auslaufmodell.

Familie Braun von den Weingärtnern Stromberg-Zabergäu bei der weinlese am Kirchheimer Kirchberg

Ein Hoch auf Hermann Schulze-Delitsch und Friedrich Wilhelm Raiffeisen

Hermann Schulze-Delitsch (1808–1883) und Friedrich Wilhelm Raiffeisen (1818–1888) gelten als die Gründerväter des Genossenschaftswesen. Unabhängig voneinander und doch zu ungefähr der gleichen Epoche ergriffen die Beiden die Initiative. Das Ziel: Die existentiellen Nöte der Menschen zu lindern. Denn: Die Zeiten waren hart.

Hermann Schulze-Delitsch war Jurist und Politiker. Sein Credo war: Nicht der Staat würde und sollte die Probleme lösen, sondern die Menschen selbst seien dazu in der Lage. So initiierte er 1894 die Gründung für Einkaufsgenossenschaften für Tischler und Schuhmacher. Weil er erkannte: Wenn die kleinen Tischler und Schumacher die für ihre Produktion nötigen Stoffe gemeinsam einkauften, hatten sie eine wesentlich besere Verhandlungsposition. Außerdem initiierte er bereits 1850 die Gründung einer Kreditgenossenschaft. Letzteres war deshalb so wichtig, weil es hierdurch für Handwerker möglich wurde, günstige Kredite zu bekommen.

Friedrich Wilhelm Raiffeisen wiederum war Bürgermeister in unterschiedlichen Gemeinden. Er steht hinter der Entwicklung der ersten ländlichen Genossenschaften. Sein Credo: Die Bündelung vieler Einzelkräfte zur Erreichung gemeinsamer Ziele.

Was beide eint: Den wichtigen Rahmen der Genossenschaften bildeten – und bilden bis heute – die Schlagworte Förderung, Selbsthilfe, Selbstverwaltung, Selbstverantwortung und das Identitätsprinzip. Und: One Man, one vote. Das heißt jedes Mitglied hat eine Stimme, völlig unabhängig von seiner Kapitaleinlage. Dies wahrt die Interessen aller Mitglieder schützt vor Spekulationen. 

Noch ein Wort zum bis heute zentralen Element der „Selbsthilfe“. Genossenschaftsmitglieder sorgen weiterhin eigenverantwortlich für ihr erfolgreiches Fortbestehen – sie haben und behalten ja auch nach dem Eintritt in die Genossenschaft weiterhin ihren eigenen Betrieb. Aber: Sie können sich dabei auf die Unterstützung der anderen Mitglieder verlassen und von Synergieeffekten des Verbundes profitieren. So ist auch der oft zitierte Leitsatz Raiffeisens zu verstehen, der sagte: „Was dem Einzelnen nicht möglich ist, das vermögen viele.“

Und: Die regionale Verankerung der Genossenschaften ist die Grundlage für deren Verbundenheit mit den Menschen und Einrichtungen vor Ort. Und dies wiederum trägt zu einem verantwortungsvolleren Verhalten bei.

Industrielle Revolution als Treiber

Wie gleich zu Beginn des Beitrags ausgeführt, kam es zur Bildung der ersten Genossenschaften etwa Mitte des 19. Jahrhunderts. Und dies ist keinesfalls ein Zufall. Denn: Die Industrielle Revolution Mitte des 19. Jahrhunderts war für die Menschen der damaligen Zeit oft mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. Große Teile der Menschen gerieten in akute Geldnot. Gerade die vielen kleinen Handwerksbetriebe und die Bauern waren betroffen. Sie waren viele, und sie waren klein. Und insbesondere auf Anbieterseite trafen sie auf größere Wirtschaftseinheiten. In einer solchen Situation hat man am Markt wenig Verhandlungsmacht und wird förmlich über den oft zitierten Tisch gezogen. Dazu kam: Durch die geringe Betriebsgröße fehlte für Investitionen das Kapital, Kredite aufnehmen ging aber auch nicht, denn die klassischen Bankinstitute scheuten das Risiko, so kleinen und am Markt gefährdeten Unternehmen Geld zu leihen, und wenn doch, dann nur zu hohen Zinssätzen.

Folgende Probleme drückten die Branchen im Einzelnen:
landwirtschaftliche Genossenschaften: hohe Zinsen und Warenpreise auf dem Land
städtische Kreditgenossenschaften: Mangel an dinglichen Sicherheiten bei den Gewerbebetrieben
gewerbliche Warengenossenschaften: Einkaufspreise für die Handwerker und Einzelhändler nicht bezahlbar
Konsumgenossenschaften: niedrige Löhne der Arbeiterschaft und schlechte Qualität der Lebensmittel
Baugenossenschaften: prekäre Wohnsituation in den Städten

Die Genossenschaften sollten nun dazu beitragen, dass die Ziele aus eigener Kraft und unter Wahrung der Selbstständigkeit erreicht werden konnten, indem man gemeinsam handelte. Diese Idee prägt bis heute das Wesen der Genossenschaften.

Foto: Tom Weller

 

Partizipation und Mitgestaltung vor Ort entscheidendes Attraktivitätsmerkmal

Man kann feststellen, dass der gesellschaftliche Wertewandel seit längerer Zeit ebenfalls für die Genossenschaften arbeitet. Der immer stärker werdende Wunsch nach Partizipation und Mitgestaltung vor Ort wird durch das Regionalitätsprinzip der Genossenschaften wunderbar abgebildet. Bei kaum einer anderen Rechtsform ist man so nahe am Geschehen dran und kann so ungehindert mitbestimmen (Stichworte Genossenschaft vor Ort und „One Man one vote“). Auch das steigende ökologische Bewusstsein und das zunehmende Interesse an Nachhaltigkeit verhelfen Genossenschaften zu positivem Image. Auch, dass in einer Genossenschaft alle Akteure die rechtlichen Eigenständigkeit ihrer einzelnen Unternehmen behalten können, kommt an. Denn: Ich kann mich als kleiner Unternehmer in eine Genossenschaft begeben und deren Vorteile für mich nutzen, ohne meine Individualität / mein eigenes Unternehmen aufzugeben. Das geht so nur bei dieser Rechtsform.

Die Zukunftsfähigkeit der Genossenschaft als eigenständige Rechts- und Unternehmensform liegt in Ihrer besonderen Governancestruktur und ihren spezifischen Merkmalen – wie u.a. der Erfüllung des Förderzwecks, Bedeutung der Mitgliedschaft sowie der Selbsthilfe – begründet. Das heißt: Genossenschaften können Beiträge leisten, die über den Nutzen klassischer marktwirtschaftlicher Erfolgskennzahlen hinausgehen. Und doch – und das ist phänomenal – belegen Studien, dass Bemühungen von Unternehmen, die auf die Erzielung positiver Effekte für Dritte und die Gemeinschaft ausgerichtet sind (und eben nicht nur auf die eigene Gewinnmaximierung) auch überaus positive Auswirkungen auf ihren eigenen finanziellen Erfolg erwirken können. Anders gesagt. Genossenschaften sind gut für Alle UND für ihre eigenen Mitglieder.

Schöner Nebeneffekt des eben geschriebenen ist die geringe Insolvenzquote dieser Rechtsform. Übrigens die geringste aller Rechtsform. Oder anders gesagt: Genossenschaften gehen seltener pleite als zum Beispiel GmbHs oder KGs und Co..

Auch das gemeinsame Feiern – oder zumindest eine gemeinsame Pause – gehören für echte Genossen dazu.

Wie erkenne ich nun den Genossen im Weinbau?

In Württemberg gibt es derzeit rund 7.000 Weinbaubetriebe – so viele sind in der offiziellen Kartei der Landesversuchsanstalt für Wein- und Obstbau eingetragen, die hierüber penibel Buch führt. Unter Weinbaubetrieb versteht man hierbei alle die Familien, die Weintrauben anbauen und für die Weinerzeugung zur Verfügung stellen oder sogar selbst ausbauen. Und: Eine überragend hohe Zahl von über 90 Prozent davon ist in einer der rund 30 Württemberger Weingärtnergenossenschaften organisiert. Württemberg hat deshalb so viele in Genossenschaften organisierte Weinbaubetriebe, weil bedingt durch das lange Festhalten an der Realteilung im Erbrecht der einzelne Wengerter häufig nur über eine kleine Rebfläche verfügt. Oft so klein, dass man hiervon alleine nicht leben kann.

Ganz zu schweigen davon, dass es sich mit so wenigen Reben nicht lohnt, in kapitalintensive, eigene Kelleranlagen zu investieren und den Wein selber zu erzeugen. Vielmehr ist es für diese „Kleingrundbesitzer“ (sorry für den altertümlichen Begriff) ratsam, sich genossenschaftlich zu organisieren und sich die Keller, Fässer und so weiter gemeinsam zu kaufen. Und mit der gemeinsam erzeugten, größeren Weinmenge auch eine ganz andere Verhandlungsmacht am Markt zu entfalten.

Und so unterscheidet man zwischen den in Genossenschaften organisierten Winzern – bzw. hier in Württemberg heißen sie Weingärtnern – und den freien Winzern. Der Weingärtner – das ist unser Genosse – hegt und pflegt seine Reben, liest die Trauben und liefert sie dann in seiner lokalen Genossenschaft ab, die aus seinen und den Trauben der anderen beteiligten Genossen Wein erzeugt und verkauft. Der freie Winzer – er ist nicht in der Genossenschaft – hegt und pflegt seine Reben und baut in der Regel anschließend im eigenen Keller diese Trauben zu Wein aus. Ein Teil der freien Winzer liefert ihre Trauben auch an – in der Regel als GmbH organisierte – Kellereien ab.

Soweit unser erster, grober Blick auf das Genossenschaftswesen.

Wesentlich mehr zum Thema erfahrt Ihr auf dieser Webseite des Baden-Württembergischen Genossenschaftsverbandes. Dieser hat unseren heutigen Beitrag inhaltlich maßgeblich unterstützt.

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