Zugegeben, der Titel des heutigen Blogposts ist ein wenig reißerisch. Aber: Die Steillagen haben tatsächlich ein paar Besonderheiten. Und von diesen erzählen wir Euch heute.
30 Prozent Hangneigung müssen gegeben sein, damit sich ein Weinberg „Steillage“ nennen darf. Und einen weiteren Punkt möchten wir gerne vorab klären. Nämlich dass es in der äußeren Erscheinungsform zwei Arten von Steillagen gibt: Die unterassierten und die terrassierten. Wir sprechen im Folgenden im Wesentlichen von der terrassierten. Und zwar nicht zuletzt deshalb, weil es über sie wesentlich mehr Spannendes zu erzählen gibt.
Gleich mal zur Einordnung: Laut einer Untersuchung von 2010 beträgt die gesamte Fläche der Terrassenweinberge in Württemberg 800 Hektar – und stellen damit einen Großteil der in Deutschland insgesamt vorhandenen 1.384 Hektar. Alleine der Kreis Ludwigsburg verfügt über 365 Hektar Terrassenweinberge. Die Ansichtsfläche der Trockenmauern soll bis zu einer Million Quadratmeter betragen.
Und jetzt nichts wie rein in die Württemberger Steillagen. Interessant sind sie aus dreierlei Perspektive.
Steillagen sind ein Refugium für seltene Tier- und Pflanzenarten
Die Steillage ist bei weitem nicht nur für den Wein spannend – zu diesem kommen wir gleich noch. Jetzt werfen wir erst einmal einen Blick auf die Wirkung der Steillage ganz allgemein. So bieten die terrassierten Steillagen Lebensbedingungen, die insbesondere für einige selten gewordene Tier- und Pflanzenarten besonders geeignet sind. Der spezielle Lebensraum entsteht durch das Mikroklima in den Steillagen. Denn die Steine der Trockenmauern, die dazu dienen, die Terrassen für den Weinbau zu schaffen, speichern die Wärme der Sonne. Die tagsüber gespeicherte Wärme geben sie dann während der Nacht wieder an ihre Umgebung ab. Dazu kommt, dass es durch den in der Steillage größeren Einstrahlungswinkel der Sonne ohnehin schon wärmer ist als im Flachland. So sind terrassierte Steillagen deutlich wärmer als vergleichbare Weinbergslagen ohne Steinmauern.
Deshalb findet sich in den Steillagen eine große Zahl sonnenliebender Pflanzenarten, wie zum Beispiel der Klatschmohn, die Weinrose, oder die als Heilkraut und Gewürz bekannte Weinraute. Auch zahlreiche Tierarten wie die Mauereidechse sind hier zuhause. Muschelkalk-Steine und Sandstein sind die vorwiegenden Steinarten, die für die Trockenmauern verwendet werden und wurden.
Und auch für den Weinbau ist das Mikroklima der Steillagen förderlich. Der größte Teil der Rebfläche in der Württemberger Steillage ist mit Trollingerreben bestückt, aber – bedingt durch das durch die Trockenmauern fast mediterrane Klima – wachsen hier auch exotische, südländische Sorten wie Merlot oder Cabernet Franc. In welche Richtung die Entwicklung hier geht, schauen wir uns im nächsten Absatz zusammen an.
Steillage erfordert aufwändige Handarbeit
In die terrassierten Steillagen an Neckar und Enz kommt man mit Maschinen nicht hinein – das heißt, hier ist echte Handarbeit gefragt. Und diese ist nicht ohne. Was man bei der Bewirtschaftung einer solchen Steillage beachten muss, bekommt Ihr in diesem Video von Jochen Clauß erzählt. Er ist Weingärtner in einer der kleinsten Einzellagen Württembergs, unterhalb der Esslinger Burg – und dazu einer echten Steillage.
Eines der Erschwernisse haben wir gerade erwähnt: In der Steillage ist es besonders heiß – ebenfalls schon erwähnt: Dafür wachsen in den Steillagen auch exotische, südländische Rebsorten, die man bei uns so nicht vermuten würde. Und inwieweit genau das noch ausgebaut werden kann, wurde in einem Hochschulprojekt zusammen mit verschiedenen Winzern und Weingärtnergenossenschaften erforscht. Unter anderem die Felsengartenkellerei Besigheim, die Weingärtner Stromberg-Zabergäu und die Lauffener Weingärtner gehen hier zusammen mit der Hochschule Geisenheim in der Steillage neue Wege. Das Projekt „Steile Weine“ soll den Anbau von Wein auf terrassierten Flächen wirtschaftlicher machen und dabei helfen, diese Kulturlandschaft auch in Zukunft zu erhalten.
Hierfür wurde der Anbau verschiedener südländischer Sorten in unseren Steillagen getestet, wie Carmenère, die Neuzüchtung Marselan oder Nero d‘Avola – letztere die derzeit bedeutendste Sorte in Sizilien. Aber das Projekt ging noch einen Schritt weiter: Auch neue, pilzwiderstandsfähige Rebsorten wurden in der Steillage getestet. Nach inzwischen ebenfalls durchgeführten Marktstudien – konkret wurde gefragt, wie der Wein aus den neuen Sorten aus der Steillage denn schmecken und aussehen müsste, um am Markt Erfolg zu haben – befindet sich das Projekt inzwischen in der Endphase. Wir warten gespannt auf die Vorstellung der Projektergebnisse. Ein interessantes Video zu dem Projekt, mit dem Vorstandsvorsitzenden der Lauffener Weingärtner, Dietrich Remboldt, findet Ihr hier.
Steillagen auch für den Weintourismus interessant
Aus den Steillagen lässt sich durchaus auch touristisch etwas machen. Denn sie sind wie geschaffen für tolle Freizeitaktivitäten. Eine davon ist der „401 Stäffele Teamlauf “ der Lembergerland Kellerei Rosswag. Hier laufen die Läufer in 2er-, 3er- und 4er-Teams 401 Weinbergstaffeln hoch und auf der Rückseite des Berges wieder runter – das ganze über eine bestimmte Zeitdauer. Das Team, das die meisten Runden schafft, gewinnt. Das Rennen findet einmal jährlich statt. Mehr dazu haben wir unter anderem hier schon einmal geschrieben.
Wer es lieber etwas langsamer angehen lässt, nicht ganz so gern aus der Puste gerät und den Besuch der Steillagen mit dem Besuch einer herrlichen Altstadt verbinden will, dem sei Esslingen am Neckar ans Herz gelegt. Der vom Esslinger Staffelsteigerverein gebaute Esslinger Weinerlebnisweg führt Besucher von der historischen Esslinger Frauenkirche aus direkt in die und mitten durch die terrassierten Steillagen Esslingens. Auch hierzu haben wir schon einmal ein Video gedreht, Ihr findet es hier.
Eine andere Freizeitaktivität bieten die Felsengärten bei der Felsengartenkellerei Besigheim in Hessigheim. Sie sind ein Eldorado für Kletterer. Felsen, die mitten aus einer faszinierenden Weinbergslandschaft herausragen. Und das wissen nicht nur wir zu schätzen: Sie sind auch als Naturschutzgebiet ausgewiesen. Ein Wanderweg führt direkt daran vorbei. Man parkt seinen Wagen einfach auf dem Parkplatz der Felsengartenkellerei und los gehts. Von dort geht es vorbei an zahlreichen Weinbergen in Richtung der Felsformationen. Nach wenigen Minuten warten die 10 Meter breite Schlucht der Felsengärten, mit Wänden, Türmen und Felsblöcken. Und das Ganze vor dem Hintergrund der malerischen Steillagen der Felsengartenkellerei Besigheim. Auf dem stellenweise recht engen Wanderweg geht es an der Seite hin und wieder sehr steil und tief hinab. Als Entschädigung gibt es tolle Ausblicke auf den Neckar, die Steillagen und auf Besigheim. An den Felsen selbst sieht man immer wieder Kletterer. Mehr dazu lest Ihr hier.
Lust, Weinbau in der Steillage zu betreiben?
Und dann sind da noch die Weingärtner für ein Jahr. Ein spannendes und mittlerweile mehrfach kopiertes Projekt, das von der Lembergerland Kellerei Rosswag vor 10 Jahren ins Leben gerufen wurde. Gemeinsam mit weiteren »Lehrlingen« begleiten dort weinbegeisterte Quereinsteigher ein Jahr lang aktiv die Trauben dieser Lage beim Wachsen, erziehen die Reben, bearbeiten den Boden, lichten die Laubwand und ernten im Herbst die Früchte ihres Schaffens. Und zwar alles unter Anleitung der „alten Hasen“ der Lembergerland Kellerei Rosswag. Näheres zu diesem Projekt, unter anderem, was es kostet, dabei zu sein, lest ihr hier.
Steillage für Jeden: Das Steillagenkollektiv der Lembergerland Kellerei Rosswag
Um die Steillage auch Otto und Linda Normalverbraucher nahe zu bringen und sie Teil davon werden zu lassen, hat die Lembergerland Kellerei Rosswag das „Steillagenkollektiv“ gegründet. Hier kann jedermann Mitglied werden, zahlt 365 Euro im Jahr und erhält dafür die Patenschaft für ein Ar Weinberg, mit eigenem Schild und gps-Koordinaten. Jedes Vierteljahr erhält das Mitglied ein Paket mit 6 Flaschen Wein der Genossenschaft, außerdem darf das Mitglied, wenn es möchte, an der Lese teilnehmen, an einer Weinbergführung im Herbst und vier digitalen Stammtischen im Jahr.
Der Lembergerland Kellerei geht es dabei ausdrücklich um die Zukunftsfähigkeit der Steillage, mit lebendigen Weinbergen, mit Beipflanzen und Wildkräutern. Die Winzer ihrerseits verpflichten sich zur nachhaltigen Bewirtschaftung der Steillagen. Also eine interessante Win-Win-Situation, die hilft, die Steillagen in die Zukunft zu führen, anstatt dass sie tendenziell zunehmend aufgegeben werden. Mehr Details lest Ihr hier.
Zum Schluss noch ein paar Zahlen
Die Steillagen lassen sich in folgenden Zahlen noch einmal sehr schön darstellen.
Wusstet Ihr, dass …
1.200 Stunden pro Hektar und Jahr der Aufwand ist, mit dem bei der Bewirtschaftung von Steillagen gerechnet werden muss? Das ist deutlich mehr als bei einem Wengert in der Fläche, wo etwa 400 Stunden anfallen. Zudem müssen die Weingärtner je nach konkreter Beschaffenheit der Lage teilweise oder ganz auf maschinelle Hilfe verzichten. Dies macht die Arbeiten – gerade bei der oben schon beschriebenen Hitze – zu einer körperlichen Herausforderung.
7.000 Hektar an Rebfläche in Baden-Württemberg auf Steillagen entfallen? Das entspricht etwa 25 Prozent der Weinanbaufläche des Bundeslandes. In ganz Deutschland geht man von 14 000 Hektar an Weinbergen aus, die als Steillage eingestuft sind. In früheren Zeiten war das sogar noch deutlich mehr, in etlichen Anbaugebieten ist aber ein Rückgang von 30 Prozent und mehr gegenüber den 90er Jahren zu verzeichnen. Falls Ihr jetzt sagt: „Moment mal, hatten wir da zu Beginn des Beitrags nicht noch ganz andere Zahlen?“. Gut aufgepasstt! Aber: Das am Anfang des Artikels waren die Zahlen für die terrassierte Steillage – das hier jetzt die deutlich höheren für alle Steillagen insgesamt.
14 Milliarden Euro nach Schätzungen aufzuwenden wären, wollte man die gesamten Weinberg-Terassenmauern neu bauen, die es allein entlang des Neckars gibt? Die und die sie umgebenden und befestigenden Trockensteinmauern sind nicht nur eine der Grundlagen für herausragende Weine, sondern auch Teil einer einzigartigen Kulturlandschaft, für deren Erhalt die Winzer viel Aufwand betreiben. Und klar – das sagen wir lieber noch einmal dazu – die genannte Zahl ist ein Schätzwert.
70 Grad Celsius die Spitzentemperatur ist, die die Steinmauern der Weinbergterrassen im Sommer erreichen? Die Mauern speichern tagsüber genau diese Wärme und geben sie abends und nachts wieder an die Umgabung ab. Sie sind zudem mit ihren vilen Lücken und Nischen ein idealer Rückzugsort für viele wärmeliebende Kleintiere – weit über die oben bereits genannte Mauereidechse hinaus.
243 Millionen Jahre vergangen sind, seit sich die Kalkschicht gebildet hat, die vielfach in den Steillagen an Neckar und Enz zu finden ist? Der Muschelkalk verleiht den Weinen aus diesen Lagen eine besondere Struktur – sie zeigen oftmals prägnanten Schliff, eindrückliche Länge und unverwechselbaren Charakter. Aus dem Zusammenspiel von Boden und Klima, aus dem Terroir, entstehen Weine für wahre Genießer.
…und schöne Bilder unserer Württemberger Steillagen
Die Fotos dieser Galerie stammen von (v.l.n.r): Weingärtner Stromberg-Zabergäu, Daniel Schneider, Daniel Schneider, Daniel Schneider, Daniel Schneider.
Titelfoto: In den Steillagen Roßwags (Vaihingen/Enz), Foto: Simone Mathias
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